„Fachkräftemangel besteht weiterhin“

Interview. Georg Knill, Präsident der Industriellenvereinigung, über ein Jahr Pandemie und Optimismus für die Zukunft


© ALEXANDER MÜLLER

Laut Georg Knill, Präsident der Industriellenvereinigung, haben noch immer drei von vier Industrieunternehmen Probleme Schlüsselpersonal zu finden

 

Nach einem Jahr Pandemie zieht Georg Knill, Präsident der Industriellenvereinigung im Interview Bilanz. Auffallend ist, dass es trotz hoher Arbeitslosigkeit noch immer einen großen Facharbeitermangel in Österreich gibt.

 

Wie gut ist die heimische Industrie durch das schwierige Corona-Jahr gekommen?
Georg Knill:
Der in Österreich entstandene wirtschaftliche Schaden in Form verlorener Wertschöpfung beträgt für das Vorjahr 32,5 Milliarden Euro. Bestimmte Segmente des Dienstleistungssektors, sind nach wie vor besonders stark betroffen, aber auch die Industrie hatte vor allem während des ersten Lockdowns massive Einbußen zu verzeichnen. Gleichzeitig sehen wir aber, dass die Industrie der Anker für Stabilität und ein Treiber für nachhaltiges Wachstum ist. Wenn es gelingt, bis April die Lockdown-Maßnahmen hinter uns zu lassen, dann gibt es durchaus gute Gründe für einen optimistischen Ausblick in die Zukunft. Voraussetzung für einen kräftigen Aufschwung ist eine starke Industrie, die in Österreich für rund eine Million Arbeitsplätze und rund 30 Prozent der Wertschöpfung steht.

 

Welche Herausforderungen gilt es nun in den nächsten Monaten zu bewältigen?
Die corona-bedingten Einschränkungen belasten unsere Unternehmen massiv. Gerade für unsere exportstarke Industrie ist es ein gewaltiges
Problem, dass wir unsere Kunden in wichtigen Nah- und Fernmärkten nicht erreichen können. Für das Exportland Österreich ist das zentral, mehr als die Hälfte unseres Wohlstandes hängt am Erfolg unserer Betriebe auf den internationalen Märkten. Wir müssen bei den Impfungen deutlich an Tempo zulegen und die richtigen Prioritäten setzen. Nach den vulnerablen Gruppen brauchen die Schlüsselarbeitskräfte in der Industrie so schnell wie möglich Zugang zu Impfstoffen.

 

Ende Februar waren 508.923 Menschen in Österreich arbeitslos und 496.000 in Kurzarbeit. Hat sich dadurch der Facharbeitermangel in der Industrie entschärft?
Es klingt zwar paradox, aber Arbeitslosigkeit und Fachkräftemangel sind kein Widerspruch. Eine aktuelle Umfrage unter unseren Mitgliedsbetrieben zeigt, dass sich die Corona-Pandemie kaum auf die starke Nachfrage nach technisch-naturwissenschaftlichen Qualifikationen ausgewirkt hat. Zuletzt hatten drei von vierIndustrieunternehmen Probleme, Personal in Bereichen wie IT, Elektrotechnik oder Maschinenbau zu finden.

 

Warum gibt es in der Industrie so wenig qualifiziertes Personal auf der einen und so viele Arbeitslose auf der anderen Seite?
Vorweg möchte ich betonen, dass unsere Lehrausbildung ausgezeichnet funktioniert, starkes Rückgrat sind zudem die HTLs. Dennoch
fehlen auf dem Arbeitsmarkt Menschen mit bestimmten, auch technischen, Qualifikationen. Die Folge: Arbeitsuchende und offene Stellen
passen nicht zusammen. Die durch Corona verstärkte digitale Transformation macht das noch deutlicher. Außerdem haben wir auch ein regionales Thema: In vielen industriestarken ländlichen Regionen finden Unternehmen besonders schwer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit den erforderlichen Qualifikationen.

 

Was müsste nun passieren, um diese Lücke zu schließen?
Bildung, Ausbildung und Weiterbildung sind die beste Antwort auf die Herausforderungen der Corona-Krise. Wir brauchen eine Angebotsoffensive der bestehenden Bildungseinrichtungen für umfassende Weiterbildung, NeuQualifizierung und lebenslanges Lernen. Bestehende Qualifizierungsmaßnahmen sollten zielgerichteter eingesetzt werden. Entscheidend ist, dass diese passgenau und vor allem betriebsnah eingesetzt werden. Auch bei der Berufsorientierung für Schülerinnen und Schüler gibt es Verbesserungsbedarf – das sehen wir jetzt in der Corona-Krise sehr deutlich.

 

Was macht eine Lehrlingsausbildung in der Industrie so unattraktiv für junge Menschen?
Das Gegenteil ist der Fall! Eine Industrielehre ist extrem attraktiv: Absolventen haben ein rund 25 Prozent höheres Lebenseinkommen als jene anderer Berufe, teilweise sogar mehr als 50 Prozent. Wir bieten tolle Karrieremöglichkeiten, die Betriebe investieren rund 100.000 Euro in die Ausbildung der jungen Menschen. Die Lehre hat ein Problem mit dem Image. Hier braucht es mehr Aufklärung. Lehre ist vielseitig, spannend und vor allem keine Bildungseinbahn. Nach einem Abschluss stehen jungen Menschen alle Türen offen.

 

Die Industrie ist noch immer sehr männlich dominiert. Woran liegt es, dass der Frauenanteil noch immer so niedrig ist?
Möglich, dass die frühere Geschlechtertrennung, etwa bei Handarbeit und Werken, in den Schulen eine Rolle spielt. Wir haben einen Wandel in der Arbeitswelt erlebt, der vor allem in der Industrie deutlich sichtbar ist. Weg vonkörperlicher Tätigkeit hin zu Kopfarbeit. Wir haben heute viele neue Berufsbilder, die gleichermaßen Frauen wie Männer ansprechen. Wichtig ist, dass es zahlreiche wichtige und gute Initiativen gibt, die informieren und zur Bewusstseinsbildung beitragen. Insgesamt stehen wir hier aber noch am Anfang eines weiten Weges. Die letzten Jahre zeigen, dass es in die richtige Richtung geht.

 

Wäre es nicht wünschenswert, dass es in der aktuellen Arbeitsmarktkrise auch mehr Anreize für Betriebe gibt, Menschen auszubilden oder auch umzuschulen?
Aus- und Weiterbildung bleiben weiterhin Top-Thema. Wichtig ist auch, dass die Kurzarbeit für Qualifizierung genutzt wird. Wir brauchen ein kluges Anreizsystem. Unternehmen, die aus- und weiterbilden, sollten jedenfalls entsprechend unterstützt werden.

 

Bei Corona sehen wir mit den Impfungen langsam Licht am Ende des Tunnels. Wie lange wird die Industrie brauchen, um wieder auf dem Vor-Corona-Niveau zu arbeiten?
Viele Betriebe in der Industrie schließen wieder an das Vorkrisenniveau an, weil sie während der Lockdowns weiterarbeiten und produzieren konnten. Entscheidend bleibt die möglichst rasche Durchimpfung der Bevölkerung. Wenn wir das schaffen, stehen die Chancen gut für einen starken Wachstumsschub.

 

Liegt das Schlimmste schon hinter uns oder kommt das noch auf uns zu?
Wir brauchen mehr Zuversicht: Das Schlimmste liegt hinter uns und wir blicken mit Optimismus auf die nächsten Monate, der Konsum wird ansteigen, die Wirtschaft wachsen und mehr Arbeitsplätze entstehen. Dafür müssen wir auch die Chancen der Digitalisierung nutzen.

 

Autor:  Stephan Scoppetta

 

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