Fassaden und Dächer – urbane Klimaanlagen der Zukunft


© GRUENSTATTGRAU

In dem Rendering der Kompetenzstelle Grünstattgrau ist die Stadt der Zukunft grün – denn Pflanzen an Hauswänden tragen zu einer deutlichen Kühlung von Gebäuden bei
 

Gebäudebegrünung. Bepflanzte Gebäude können vor allem im urbanen Raum Hitzeinseln entgegenwirken. Außerdem verbessern die „grünen Häuser“ das Mikroklima und leisten einen wertvollen Beitrag zu mehr Biodiversität in der Stadt.

Sommertage mit Temperaturen, die sich jenseits der 40-Grad-Grenze bewegen und Tropennächte, in denen es kaum abkühlt – die urbane Klimazukunft ist auch in Österreichs Städten mehr und mehr spürbar. Da sich aufgrund der Bodenversiegelung und des mangelnden Grüns gerade in den dichtverbauten Gebieten Hitzeinseln bilden, gerät nachhaltige Städteplanung verstärkt in den Fokus von Politikern, Immobilienentwicklern und Architekten.

Doch es ist nicht nur die Neugestaltung von Straßen, Plätzen und Häusern, mit der die Folgen des Klimawandels erträglicher gemacht werden können, auch bestehende Gebäude können mit innovativen Methoden ihren Teil zur Abkühlung der Städte und zum Klimaschutz beitragen.

Pilotprojekte

Vor allem in der Millionenstadt Wien befasst man sich intensiv mit dem Klimawandel und seinen Folgen. Neben dem Pflanzen von zusätzlichen Bäumen und dem Schaffen von Grünraum werden in Österreichs Hauptstadt jedes Jahr mindestens zehn städtische Fassaden begrünt – mit Trompetenblumen ebenso wie fingerblättrigen Klettergurken, wildem Wein und Waldreben.

Auch Gemeindebauten dienen dabei als Pilotprojekte, um die Umgebungstemperatur zu senken: In der Raxstraße 21-27 im zehnten Bezirk zum Beispiel sind insgesamt fünf Wände mit einer Gesamtfläche von 145 Quadratmeter bewachsen und in der Mollardgasse 89 im sechsten Bezirk ranken sich 17 Kletterpflanzen die Wände empor. Die Pflanzen sollen wie eine Klimaanlage wirken, die Temperaturen im Gebäudeinneren senken und sich somit nachhaltig auf die Lebensqualität auswirken.

Sonnenenergie nutzen

Dach- und Fassadenbegrünungen zählen zu naturbasierten Lösungen, die großflächig versiegelten Flächen entgegenwirken und Wasser in der Stadt zurückhalten können, betonen Lotta Steger und Susanne Formanek von Grünstattgrau. Die Kompetenzstelle dient als Innovationslabor für Bauwerksbegrünung dient als Schnittstelle für über 300 Netzwerkpartner aus Forschung, Wirtschaft und öffentlicher Hand.

Das Ziel ist es, Synergien in der Branche zu unterstützen, die sonst verloren gehen würden und Wissen aus über 100 Forschungsprojekten zu verbreiten. Steger und Formanek sagen, dass jeder Liter Niederschlagswasser, der durch begrünte Gebäude gehalten wird, nicht nur die Kanalisation entlastet, sondern auch das Mikroklima kühlt. „Dafür muss keine zusätzliche Energie aufgewendet werden – im Gegenteil: Begrünungen nutzen die Sonnenenergie und führen auf Gebäudeebene zu einer Verbesserung der Abstrahleigenschaften bzw. Reflexionsstrahlung von Gebäuden und Stadtquartieren. Auch die Kombination mit erneuerbaren Energien ist möglich.“

Das zeigt sich aktuell an der Wiener Stadthalle auf deren Dach in rund 25 Metern Höhe eine Fotovoltaikanlage mit insgesamt 2956 Modulen geplant ist, die für eine Gesamtleistung von 1123 kWp sorgen sollen. Pro Jahr können so zukünftig bis zu 1,1 Millionen Kilowatt Strom erzeugt werden – eine Menge, die jährlich rund 580 Ein-Personen-Haushalte verbrauchen. Die Fotovoltaikanlage auf der Stadthalle ist Teil der groß angelegten Fotovoltaik-Offensive der Stadt, denn bis zum Jahr 2030 soll sechzehnmal so viel Strom aus Sonnenenergie gewonnen werden wie noch 2020.
 


© CHRISTIAN FÜRTHNER/MA 20

Immer mehr Gebäude in Österreichs Hauptstadt schmücken sich mit Kletterpflanzen. In der MA 48-Zentrale (li.) sind es rund 17.000 Pflanzen – von Blaugräsern über Katzenminze bis Thymian. Auch im Hotel The Harmonie Vienna (o.) wurde die Fassade eines von Otto Wagner errichteten Gründerzeithauses komplett begrünt
 

Grüne Infrastruktur

Ebenso nachhaltige Ziele haben die Livingpanels. Dabei handelt es sich um massenmarktkompatible und bauwerksintegrierte Begrünungsmodule, die von dem Start-up Naturebase geplant, produziert und montiert werden. „Das Kernstück ist eine Materialinnovation für den leichtgewichtigen, pflanzenfreundlichen und wassersparenden Vegetationsträger, der Düngung und Bewässerung homogen an die Pflanzen verteilt. Mittels eines einfachen plug&play Verfahrens wird das System modular montiert“, berichtet Doris Schnepf, Geschäftsführerin des Klima-Kompetenzzentrums Green4Cities, aus dem das Start-up entstanden ist. Die Landschaftsarchitektin ist überzeugt, dass Klimafitness und spürbare Anpassung für Städte vor allem über großflächige Stadtbegrünung erreicht werden können. Im Bestandsbau, betont sie, wird das durch Bauwerksbegrünung ermöglicht, und dort besonders durch sogenannte fassadengebundene Begrünung. „Denn im Bestand ist die Vertikale mit Abstand die größte ungenutzte Brachfläche im urbanen Raum. Dort ist sie aus Platzgründen oftmals auch die einzige rasch umsetzbare Möglichkeit für grüne Infrastruktur auf großen Flächen."

Optischer Blickfang

Immer mehr Unternehmen setzen Gebäudebegrünung auch ein, um den Klimaschutzgedanken mit Marketingaspekten zu verbinden, wie man bei der Out-of-Home Werbeagentur Ambient Art betont. „Eine begrünte Außenfassade“, sagt CEO Günter Weninger, „kann einerseits als optische Aufwertung dienen, andererseits auch rein praktische Gründe haben, um die Fassade und die Umgebung zu kühlen. Schließlich sind Begrünungen auch ein emotionaler Blickfang für den öffentlichen Raum, verglichen mit grauen Betonwänden.“

Einer der Ambient Art Kunden, ein Immobilienentwickler, wollte zum Beispiel mit einer Fassadenbegrünung und einer Outdoorküche am Dach Annehmlichkeiten für Mieter und deren Angestellten schaffen. „Das wertet die Immobilie auf“, sagt Weninger. Manchmal, betont der Werber, ist die Kombination mit Street Art eine gelungene Ergänzung: „Damit können Motive aus der Natur dauerhaft dargestellt werden und die Fläche ist damit auch im Winter ansehnlich.“

 


© PLANTIKA

Das Wiener Start-up Plantika entwickelt innovative, modulare Begrünungssysteme für geneigte Hausdächer

Wiese am Hausdach

Nicht nur Fassaden, auch Dächer bieten sich an, um der Klimaerwärmung entgegenzuwirken. In Wien gibt es aktuell rund 5000 Hektar Dachflächen, die begrünt werden könnten, wobei die Stadt Wien die Begrünung mit bis zu 20.200 Euro pro Dach fördert. Denn: Gründächer bieten nicht nur erwiesenermaßen einen nachhaltigen Wasserrückhalt, sie steigern auch die Aufenthaltsqualität.

Genau mit dieser relevanten Thema befasst sich das Start-up Plantika. Das Jungunternehmen entwickelt und produziert Gründachmodule für geneigte Blech- und Ziegeldächer. Jedes Modul besteht aus drei Schichten, die für Verankerung, Nährstoffzufuhr und Vegetation sorgen. Das Innovative an dem Produkt: Mit einfachen Methoden und der Kombination und Modifikation von bestehenden Technologien können – statt bisher nur wenige Prozent – potenziell alle Dächer begrünt werden, sagt CEO Mathieu Lebranchu.

„Einen der größten Vorteile ist die Bindung von und die Kühlung der Umgebung. Daher ist Dachbegrünung eines der effektivsten Mittel, um die Hitzeinseln im urbanen Raum zu bekämpfen. Unser Ziel ist es, Klimaanlagen durch Dachbegrünung zu ersetzen“, so Lebranchu. Die Module sollen jedoch noch eine weitere Funktion haben, wie der Entwickler erklärt. Denn durch die extremeren Wetterbedingungen kommt es immer öfter zu Starkregen, wobei die Kanalisation dadurch sehr schnell überlastet wird. „Die Retention, das bedeutet die Wasserspeicherung der Dachbegrünung, kann diesem Problem sehr gut entgegenwirken.“

 


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Die Mailänder Zwillingstürme Bosco Verticale gelten als Vorzeigemodell nachhaltiger Stadt- und Gebäudeplanung

Sehnsucht nach Natur

Doch bei der Begrünung von Gebäuden gibt es durchaus Herausforderungen, wie man bei Grünstattgrau weiß – von der Gestaltung von Genehmigungsprozessen über die oftmals historisch gewachsenen Strukturen, Normen und Regulierungen bis zur Förderung konkreter Projekte. „Die Komplexität solcher Begrünungsprojekte muss von Anfang an mitgeplant werden, vom ersten Rendering bis zur Erstellung eines Pflegevertrages. Zum Beispiel brauchen grüne Infrastrukturen Platz und haben im Laufe der Zeit unterschiedliche Bedürfnisse wie Wasser, Nährstoffe und Pflege“.

Generell ist der Markt für bauwerksintegrierte Begrünung sehr stark im Wachstum begriffen, sagt Doris Schnepf von Green4Cities. „Es ist aber mehr als nur das: Zurzeit herrscht unter der Bevölkerung eine Sehnsucht nach mehr Grün – und danach, wieder mehr Natur zurück in die Stadt zu bringen.“

- Sandra Wobrazek

 

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