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Interview. Arnold Weiß, Leiter des Wiener Büros von EPEX SPOT, über die Strompreissteigerungen 2022 und Preisdeckel
Am Energiemarkt wird der Ruf nach mehr Regulierung laut. Für Arnold Weiß, Leiter des Wiener Büros von EPEX SPOT, der größten europäischen Strombörse, machen solche Eingriffe keinen Sinn. Dadurch werde nur ein Symptom bekämpft, aber nicht die Ursache.
Was sind die Ursachen für die enormen Strompreissteigerungen in den letzten Monaten?
Arnold Weiß: Die Ursachen sind grundsätzlich auf der Angebotsseite zu verorten. Schon im zweiten Halbjahr 2021 kam es schrittweise zu einer Verknappung und Verteuerung von Erdgas. Hier hat die geopolitische Situation im Osten Europas maßgeblich dazu beigetragen. Hinzu kam, dass im Sommer 2022, als wir die bisher höchsten Preise für Strom beobachten konnten, weitere Ereignisse das Stromangebot in Europa senkten. Eine europaweite Dürre führte zu Niedrigwasser auf den europäischen Flüssen und damit zu einer geringeren Produktion von Strom aus Wasserkraft. Die Trockenheit beeinträchtigte aber auch die Kühlung von Atomkraftwerken und den Transport von Kraftwerks-Kohle auf Schiffswegen.
Viel war in den letzten Monaten von einem fehlgeleiteten Strommarktdesign die Rede. Ist hier nicht eine Reform notwendig?
Der europäische Strommarkt hat eine komplexe Struktur und überhastete Eingriffe könnten schlimme Konsequenzen für die Versorgungssicherheit haben. Für uns steht fest, dass die hohen Preise nicht durch das Marktdesign verursacht werden, sondern sich allein aus Angebot und Nachfrage ableiten. Dabei könnte man die Rolle des Strommarkts mit der eines Thermometers vergleichen: Wenn ein Patient 40 Grad Fieber hat, dann könnte man natürlich das Thermometer kaputt machen – das Fieber verschwindet davon nicht, und die Krankheit, die das Fieber verursacht hat, auch nicht.
Besonders das Merit-Order-System steht in der Kritik. Damit orientiert sich die Festlegung des Strompreises am letzten und somit teuersten Kraftwerk, dessen Angebot bei einer Auktion angenommen wird. Ist das wirklich sinnvoll?
Die Merit-Order-Kurve gewährleistet, dass die Nachfrage mit dem vorhandenen Angebot aufgefüllt wird – und zwar beginnend mit dem günstigsten Anbieter. Sie stellt vielmehr sicher, dass die günstigsten Gebote vorrangig zum Zug kommen und die teureren verworfen werden, wenn sie nicht benötigt werden. Insofern sorgt dieses Modell für den günstigsten Gleichgewichtspreis, den wir erreichen können.
Wird der gesamte Stromhandel mit dem Merit-Order-System abgedeckt?
Nein. Nur ein Marktsegment im Stromhandel folgt der Merit-Order-Kurve: der Börsenhandel für den nächsten Tag. Die anderen Märkte, sowohl mit längerer als auch kürzerer Lieferfrist sind Echtzeitmärkte und folgen dem Pay-as-bid-Verfahren. Auch der Handel abseits der Börse verläuft so. Die erzielten Preise unterscheiden sich aber nicht maßgeblich vom Day-Ahead-Markt. Das zeigt, dass die hohen Preise nicht durch das Marktdesign verursacht werden, sondern durch die Fundamentaldaten von Angebot und Nachfrage.
In den letzten Monaten wurde immer öfter die Rufe nach einem Gas- und Strompreisdeckel laut. Wäre das nicht eine Möglichkeit den Strompreis einzudämmen?
Nationale Preisgrenzen machen aus unserer Sicht keinen Sinn, denn eine Preisgrenze in ihrer extremsten Form wird zu einer Verknappung des Angebots führen und eine Zwangsbewirtschaftung bzw. -zuteilung erfordern. Zudem müssten Preisgrenzen alle europäischen Märkte umfassen, um keine Flucht- oder Ausweichbewegungen zu ermöglichen.
In Spanien und Portugal hat es aber funktioniert.
Dort hat man keinen allgemeinen Preisdeckel eingeführt, sondern den Preis für Gas und Steinkohle, die für die Stromproduktion verfeuert werden, begrenzt. Und die Stromproduzenten bekommen den Verlust durch die Preisgrenze durch Sonderzahlungen ersetzt, die wiederum die Endverbraucher bezahlen. Der Strompreis ist für die Konsumenten im Durchschnitt daher auch nur um knapp 15 Prozent gesunken. Zudem ist die iberische Halbinsel in Bezug auf den Strommarkt eine Insel. Es existieren nur geringe Übertragungskapazitäten nach Frankreich. Zudem hat die iberische Halbinsel LNG-Terminals und konnte sich einen beträchtlichen Anstieg des Gasverbrauches leisten. So verdoppelte sich der Anteil von Erdgas im Strommix von 16 auf 32 Prozent – wegen des Gaspreisdeckels wird also mehr Gas verbraucht als vor der Krise.
Autarke Energiemärkte wie die Schweiz, Spanien und Portugal sind aber besser durch die Krise gekommen?
Ein nicht integrierter Strommarkt ermöglicht der Politik natürlich ein leichteres Eingreifen, weil die Ressourcen nur national genutzt werden können. Aber dieses Pendel kann auch in die andere Richtung ausschlagen. In Frankreich ging man 2021 noch davon aus, dass man durch die Atomenergie in einem isolierten Markt besser aussteigen würde, als in einem gemeinsamen europäischen Markt. Doch im Sommer 2022 waren aufgrund von Niedrigwasser und Wartungsarbeiten von 56 Atomreaktoren zeitweise weniger als 20 in Betrieb und Frankreich musste Strom importieren. Der gekoppelte EU-Binnenmarkt bietet nicht nur eine hohe Versorgungssicherheit, sondern sorgt auch für enorme Einsparungen. Eine vollständige Autarkie der einzelnen Staaten wäre deutlich teurer.
Als größter Betreiber von Europäischen Strommärkten müssen Sie für eine Beibehaltung des Systems plädieren, denn Sie verdienen ja an diesem System kräftig mit?
Unser Umsatz als Strombörse errechnet sich nicht vom Preisniveau des gehandelten Stroms an unserer Börse, sondern über die gehandelte Strommenge. Für uns ergibt sich also kein Vorteil aus hohen Strompreisen.
Hat die Krise nicht das Nachfrageverhalten in den letzten Monaten verändert?
Studien zeigen, dass es trotz einer Vervielfachung der Gas- und Strompreise in den meisten Ländern keine Nachfrageänderung gab.
Aber wie ließe sich das Nachfrageverhalten der Bevölkerung verändern?
Verbraucher sehen außerhalb der monatlichen Stromrechnung, nichts vom stündlichen Preis, der Angebot und Nachfrage widerspiegelt. Dieser Preis enthält aber eine wichtige Information, nämlich wann es sinnvoll ist, Strom zu verbrauchen und wann nicht. Viele Haushaltsgeräte oder sogar Elektroautos könnten Preissignale verarbeiten und dann automatisch ihren Stromverbrauch anpassen. Auf Unternehmensebene haben wir hier schon an einigen Pilotprojekten gearbeitet, die diese Preisinformation nutzten. Hier müsste die Politik Anreize schaffen, dass es sich für Verbraucher und Unternehmen lohnt ihren Stromverbrauch auf Basis dieser Informationen zu optimieren.
Doch eine Änderung des Nachfrageverhaltens kann nur ein Teil der Maßnahmen sein. Wie können wir in Zukunft günstige Energiepreise in Europa gewährleisten?
Wir benötigen dringend eine Ausweitung der Produktionskapazitäten. Denn wenn wir die Klimaziele ernst nehmen und an die Elektrifizierung ganzer Sektoren denken, dann müssen wir die Netze optimieren und uns auch Gedanken über Speichermöglichkeiten machen. Wichtig ist zudem, dass wir auf eine breite Auswahl von Energie-Quellen und Ressourcen setzen.
Welche Marktpreise erwarten Sie in den nächsten Monaten?
Der Blick auf die langfristigen Futures-Märkte weist auf eine weiterhin bestehende Verunsicherung im Markt hin und es ist mit hohen Preisschwankungen zu rechnen.
- Stephan Scoppetta